Bergmannsverein General Blumenthal
Chronik 1975
Die erhoffte Renaissance der Steinkohle bleibt aus. Eine schwere Rezession der gesamten Weltwirtschaft trifft
vor allem die Stahlindustrie und führt weltweit zu einem Rückgang der Rohstahlerzeugung um mehr als 60 Mio t.
Die Europäische Gemeinschaft und mit ihr die Bundesrepublik können sich dieser Entwicklung nicht entziehen.
Erstmals seit Kriegsende nimmt der Stromverbrauch in der Bundesrepublik ab - um 5,4%. Die Hauptlast des
wirtschaftlichen Umschwungs fällt auf die inländische Steinkohle. Die rückläufige Stromerzeugung führt
entgegen der Zielsetzung des Dritten Verstromungsgesetzes, das auf einer Zuwachsrate des Stromverbrauchs
von jährlich 7% aufbaut, zu einer Verringerung des Steinkohleneinsatzes in den Kraftwerken um 27% auf 23 Mio
t SKE. Dieser Einbruch ist vor
allem eine Folge der Inbetriebnahme neuer Kraftwerke auf der Basis von Heizöl und Erdgas in der
Größenordnung von etwa 14.000 MW, die voll beschäftigt werden, während die Steinkohlenkraftwerke in
diesem Jahr nur zu einem Drittel ausgelastet sind. Die Stromerzeugung wird zunehmend importabhängig. Im
November beschließt dann die Bundesregierung, die Kohleeinfuhren nicht mehr zu erhöhen.
Die Verstromung der deutschen Steinkohle erfolgt ab 1975 nicht mehr durch Subventionen des Bundes,
sondern über den Strompreis. Der Anteil des "Kohlepfennigs" am Strompreis liegt bei 3,2%.
Nur 85 Mio t Steinkohle finden im Berichtsjahr Absatz. Die Halden von Steinkohle und Koks wachsen wieder.
Kurzarbeit sowie Überschichtenbegrenzung und Einstellungsstops drücken die Förderung auf 92 Mio t. Seit
1955 ist damit die Jahresproduktion um 56 Mio t gesunken. Die Zahl der Beschäftigten im deutschen
Steinkohlenbergbau sinkt in dieser Zeit von 607.300 auf 202.300.
Mitte Dezember beginnt man mit dem im Vorjahr beschlossenen Aufbau einer nationalen Kohlenreserve.
Schon wird vielerorts die weitere Einschränkung der Förderung inländischer Steinkohle gefordert. Der
Vorsitzende der Ruhrkohle AG, Dr. Karlheinz Bund, aber macht deutlich, daß die Kohle nicht Last, sondern
Chance sei.
Die Ruhrkohle AG erwirtschaftet 1975 trotz drastischen Absatzrückgangs auf 59,8 Mio t bei einer Förderung
von 69,9 Mio t dank einer guten Erlössituation ein ausgeglichenes Ergebnis.Die Zahl der Bergwerke verringert
sich durch die Stillegung der Schachtanlage Werne am 31. Januar auf 32. Am 31. März schließt die
Brikettfabrik Pörtingsiepen/Carl Funke. Die Kokerei Graf Schwerin in Castrop-Rauxel stellt am 30. September
ihre Produktion ein. Am 11. November läuft die Versuchskokerei Emil aus und am 15. Dezember schließt die
Kokerei Emscher Lippe in Datteln.
Am 28. April erfolgt die Grundsteinlegung für das neue Verwaltungsgebäude "Ost" in Dortmund.
Die Gesellschaft gründet im März die Ruhrkohle Trading Corporation in New York, die sich mit dem Verkauf der
von der Appalachian Resources Company gewonnenen Kohle befaßt.
Auf dem Bergwerk General Blumenthal laufen die Planungs- und Explorationsarbeiten zum Aufschluß des
neuen Baufeldes Haltern an. Unter der Bezeichnung "Nordwanderung" wird die unternehmerische Entscheidung
getroffen, die verfügbaren Geldmittel für den Aufschluß der nördlich angrenzenden Feldesteile zu verwenden.
Der Aufschluß des Baufeldes Blumenthal-Süd wird derzeit nicht in Angriff genommen. Dieser Bereich bleibt
Reservefeld.
Das Bergwerk kann im Berichtsjahr dank der guten Qualität der geförderten Fettkohle die gesamte
Jahresproduktion absetzen.
Geologische Schwierigkeiten in den Abbaubetrieben sowie 7 Strebumzüge bei 8 auslaufenden Betrieben
drücken Förderung und Untertageleistung.
Zu Jahresanfang werden auf der 7. Sohle nach
Inbetriebnahme der neuen Zugleitstelle mit
Gleisbildstellwerk die Knoten Ost und West mit den
Einrichtungen für die Zugfahrtsteuerung, der restliche
Teil der Verbindungsstrecke, die 2. Richtstrecke bis
zum 5. Querschlag und der 3. Querschlag bis zur
Ladestelle 1 in den Automatikbetrieb der
Hauptstreckenförderung einbezogen. Der alte
Übergabebahnhof in der Verbindungsstrecke ist nun
nicht mehr erforderlich und wird demontiert. Mit Willi
Drewes, Immo Reis, Dieter Wilk und Otto Görke liegt
die Bedienung der Zugleitstelle unter Tage in
bewährten Händen. Diese Männer haben bereits in
der Zeit vorher die Leitstelle im Übergabebahnhof von
der Grubenwarte über Tage aus per Sprechfunk überwacht.
Im September schließlich läuft die automatische Lokomotivförderung bis zum Knoten Ostfeld. Je ein
Bahnunterwerk in der 2. Richtstrecke nach Osten und im 9. Querschlag nach Norden übernehmen für die
zusätzlichen 7.000 m Strecke die Stromversorgung.Neben den vorhandenen BBC-Lokomotiven laufen nun auch
15 neu beschaffte AEG -Automatik-Loks der Type HF 3 D mit zwei Steuerständen und einer Leistung von 120
kW.
Ab November fließen die im Haardfeld der
Nachbaranlage Ewald Fortsetzung gewonnenen
Kohlen der Ladestelle 3 im Ostfeld General Blumenthal
zu.
Bei der Kohlengewinnung kommt im Streb Dickebank
erstmals ein von der Firma Westfalia in Lünen
entwickelter Gleithobel zum Einsatz. Das neue
Gewinnungsgerät verspricht bei größeren Schnittiefen
vor allem in geringer mächtigen Flözen hohe
Fördermengen.
Sämtliche Gewinnungsbetriebe sind nun mit förderergebundenem Schreitausbau der Recklinghäuser Firma
Becorit Grubenausbau ausgerüstet.
In den Kohlenabfuhrstrecken geht man dazu über, Stegkettenförderer konstanter Länge in Verbindung mit
einem oft nur in der Sohle verankerten Vorziehgerät zu verwenden.
Die Arbeiten zum Forschungsvorhabens "Gewinnungsbohrversuche in steil gelagerten Kohlenflözen" werden im
Jahresverlauf nach Anlieferung der restlichen Maschinenteile mit dem Aufbau der Anlage in der ehemaligen
Lehrwerkstatt an Schacht 11 und der Installierung der Elektrik fortgesetzt. Erste Probeläufe im Herbst führen zu
Verbesserungen in der Hydraulik. Erweiterungen der Folgeschaltung machen einen Neuaufbau des
automatischen Ablaufs erforderlich.
In mehreren Besprechungen mit der Bergbehörde, der Westfälischen Berggewerkschaftskasse und dem
Steinkohlenbergbauverein sowie der Hauptverwaltung der Gruppe werden weiterhin die wichtigen
Problemkreise Staubbekämpfung, Wetterführung und Explosionsschutz erörtert. Die ersten Bohrungen sollen
als CH4-Meßbohrungen hochgebracht werden.
Bei der Weiterführung des Forschungsvorhabens "Vorfelderkundung durch Horizontalbohrungen großer Länge"
laufen Versuchsbohrungen in mehreren Flözen bei unterschiedlichen Betriebsbedingungen.
Da sich im Flöz glattes, verschraubtes Gestänge wegen zu geringer Flexibilität als ungeeignet erweist,
verwendet man nun kurze Spiralstangen mit Steckverbindungen. Damit erreicht man schließlich Bohrlochlängen
bis zu 276 m. Bei der Vermessung eines Bohrloches führen die Ergebnisse zur einwandfreien Aufklärung einer
Sattelstruktur. Die eingesetzten Bohrmaschinen SL-K (Fa.Turmag, Sprockhövel) und B1 A (Fa. Wirth,
Erkelenz) zeigen sich für die Aufgabenstellung ebenfalls nur bedingt geeignet. Hier führt der Weg offensichtlich
zu einer Neukonstruktion mit einem elektrohydraulischem Antrieb.
Ab Mai laufen dann erste Versuche im Gestein mit einem Seilkerngestänge. Bei Bohrlochlängen bis zu 362 m
registriert man Vertikalabweichungen bis zu 107 m. Nachfolgende Tests mit gegenläufiger Spülung
(counterflush) bringen keine besseren Ergebnisse. Der Weg bis zur angestrebten Bohrlochlänge von 1.000 m
ist noch weit. Man denkt an den Einsatz eines gesteuerten Bohrkopfes. In einem Gespräch mit Vertretern der
für die Forschungsmittel zuständigen Kernforschungsanlage Jülich wird eine Neukonzipierung der Arbeiten im
Rahmen eines zu stellenden Neuantrags vereinbart.
Das Bergwerk General Blumenthal übernimmt im Berichtsjahr das Bohrprogramm aus dem
Entwicklungsvorhaben "Abbauverfahren mit Sprengschnur" von der Anlage Monopol. Ziel ist das
richtungsgenaue Abbohren des Flözes parallel zum Kohlenstoß. Eine noch zu ermittelnde Vorgabe soll dann
mittels Sprengschnur abgeworfen werden. Die Firma Schmidt Kranz in Zorge (Südharz) hat bereits eine
geeignete Maschine in Konstruktion. Die Hauptaufgabe aber stellt sich in der Herstellung von extrem
richtungsgenauen Bohrlöchern über Längen von etwa 200 m, um die Vorgabe exakt zu halten.
In einem weiteren Vorhaben wird die Realisierung eines druckluftlosen Streckenvortriebes angestrebt. Dazu
stehen ein elektrohydraulischer Lader des Typs Eimco 633 E und ein Atlas Copco Bohrwagen Promec T 430,
ebenfalls mit elektrohydraulischem Antrieb, zur Verfügung. Das Projekt wird in der Bandstrecke nach Westen in
Flöz Röttgersbank oberhalb der 9. Sohle durchgeführt und zwar nach Beseitigung von Anfangsschwierigkeiten
mit recht gutem Erfolg. Bereits in der Zeit vorher hatte man die Umstellung von drei kleineren Lademaschinen
auf elektrohydraulischen Betrieb versuchsweise vorgenommen. Wegen zu großer Störanfälligkeit gab man das
Vorhaben aber wieder auf.
Ende Mai nimmt erstmals ein elektrohydraulischer Senklader der Firma Hausherr und Söhne, Sprockhövel, im
Flözberg Karl 1 (Feld C II/III) seine Arbeit auf. Er bringt die doppelte Arbeitsleistung der bisher verwendeten
Maschinen mit Druckluftantrieb.
Im Juni wird der Einspeisedruck für Druckluft von 4,1 auf 4,8 bar angehoben. Bedingt durch die Schachtsäule
ergibt sich unter Tage ein Netzdruck bis zu 5,2 bar. Das ermöglicht die Außerbetriebnahme aller im
Grubenbetrieb laufenden Zwischenverdichter und damit eine Einsparung an Miet- und Energiekosten von
jährlich rd. 273.000 DM.
Die Förderung im Schacht 2 wird zur 9. Sohle eingebunden und mit neuen Seilen und Förderkörben bestückt.
Die Hauptseilfahrtanlage erhält eine Korbtelefonie. Der südliche Förderkorb wird für die Selbstfahrerseilfahrt
hergerichtet.
Auf der 9. Sohle an Schacht 2 geht ein neuer Batterieladeraum in Betrieb. An Schacht 7 läuft nun die
Hauptseilfahrtanlage für den Zweikorbbetrieb als Selbstfahreranlage.
Im Hauptförderschacht 11 erhält die nördliche Förderung - wie die südliche Förderung im Vorjahr - Körbe mit 5
Etagen. Für den angelaufenen Verbundbetrieb mit dem Bergwerk Ewald Fortsetzung wird die
Durchsatzleistung der Aufbereitung von rd. 800 auf rd. 1.000 t/h erhöht.
Die Ausbildung des jugendlichen Nachwuchses für den Untertagebetrieb ist nach wie vor auf einem
hervorragenden Stand. Mit 367 Auszubildenden - so meldet die Ausbildungsabteilung - liegt das Bergwerk um
2,5% über der Sollzahl von 12% der Belegschaft unter Tage. Auch wird das 14-tägige Betriebspraktikum für
Schüler des 9. Schuljahres fortgesetzt.
Den Wunsch, ein Eigenheim zu besitzen, haben gegenwärtig 110 Belegschaftsangehörige angemeldet. Dafür
werden im Berichtsjahr insgesamt 38 Häuser in der Nordstraße in Herne und im Paßkamp in Recklinghausen
-Suderwich angeboten. Die Preise liegen zwischen 190.000 DM und - mit Einliegerwohnung - 370.500 DM.
Am 30. September wechselt Vermessungs-Fahrsteiger Ernst Kaesewinkel ins Privatleben, ein
"Alt-Blumenthaler". Sein Nachfolger wird Vermessungs-Fahrsteiger Helmut von Koelln.
In Recklinghausen wird die am Anfang der Dortmunder Straße stehende Schlegel-Brauerei abgerissen. Auf
dem Gelände sollen Mehrfamilien-Wohnhäuser entstehen.
Nach der kommunalen Neuordnung erfolgt die Wiedereinbindung der Stadt in den Kreis Recklinghausen.