Bergmannsverein General Blumenthal
Chronik 1971
Der Boom der Jahre 1969 und 1970 auf dem Energiemarkt schlägt im Berichtsjahr um. Rückläufige
Inlandskonjunktur führt beim Steinkohlenbergbau zum stärksten Absatzrückgang seit Ende des 2. Weltkrieges.
Der überdurchschnittlich hohe Kostenauftrieb der letzten Jahre kann durch Fortschritte in der Produktion nicht
ausgeglichen werden. Starke Wechselkursänderungen schwächen die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Steinkohle. Das reale Bruttosozialprodukt steigt in der Bundesrepublik zwar noch um 2,8%. Der
Primärenergieverbrauch aber nimmt nur noch um 1% zu. Der Absatz an die eisenschaffende Industrie sinkt
drastisch um 12%. Der Anteil der Steinkohle am Verbrauch an Primärenergie beträgt nur noch knapp 27%.
Das Mineralöl weist seine Marktstellung nun mit 55% aus. Der Strukturwandel auf dem Energiemarkt setzt sich
fort.
Der Förderüberhang an Kohle und Koks von rd.9 Mio t muß auf Halde genommen werden. Er belastet das
Ergebnis mit mehr als 300 Mio DM.
Bei einer Steinkohlenförderung von 84,7 Mio tvF weist die Gesellschaft in ihrer Bilanz einen Verlust von 178
Mio DM aus.
Der stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrates, Hans-Günther Sohl, erklärt öffentlich, daß als
Sofortmaßnahme zur Beseitigung von Verlustquellen 6 Schachtanlagen stillgelegt werden müßten. Dies
verhindert der Kohlebeauftragte zunächst durch eine Intervention beim Vorstand der Ruhrkohle AG mit dem
Argument, daß spontane Stillegungen vor der Fertigstellung des in Arbeit stehenden Anpassungsplanes wenig
sinnvoll seien.
Zur Kapazitätsanpassung beschließt der RAG-Aufsichtsrat dann am 30. Juni den "Gesamtanpassungsplan für
den Bergbaubereich" zur Konzentration und Verlagerung der Förderung auf die insgesamt ertragsstärksten
Bergwerke: Zusammenschluß von 9 Schachtanlagen zu 4 Verbundbergwerken und Stillegung von 10 Anlagen
bis 1975 mit einer
Kapazität von rd.14 Mio t.
Als erste Anlagen werden am 15. Mai das Bergwerk Germania in Dortmund und am 12.November das
Bergwerk Graf Moltke in Gladbeck stillgelegt. Die Genehmigung dafür lag vom Kohlebeauftragten bereits im
Vorgriff auf den Gesamtanpassungsplan vor. Fast alle 1.200 Mitarbeiter des Grubenbetriebes von Graf Moltke
nehmen das Übernahmeangebot des Bergwerks Hugo in Gelsenkirchen-Buer an. Am 15. Dezember schließt
die Kokerei Minister Achenbach in Brambauer.
Die Belegschaft der Ruhrkohle AG sinkt auf rd. 178.000 Mitarbeiter.
Auf dem Bergwerk Minister Stein beginnt am 06. Januar im Ruhrrevier die erste maschinelle Auffahrung einer
Gesteinsstrecke im Vollschnitt.
Am 01. Juni wird die Betriebsabteilung Zentralwerkstätten der BAG Dortmund eingerichtet.
Aus dem Zusammenschluß der Bergwerke Pattberg und Rheinpreußen (Moers) sowie Rossenray
(Kamp-Lintfort) soll das Verbundbergwerk Rheinland entstehen.
Das Bergwerk General Blumenthal profitiert von den neuen Planungs- und Zuschnittsmöglichkeiten, die durch
die Bildung der Ruhrkohle AG geschaffen werden. Bereits im November des Vorjahres hat der Vorstand der
Gruppe Herne/Recklinghausen beschlossen, daß der Aufschluß des Grubenfeldes "An der Haard" vom
Bergwerk Ewald Fortsetzung aus durch eine Querschlagsachse 1 Ost nach Norden auf den 850 m- und 950
m-Sohlen aus dem Bereich des Förderschachtes 1 des Bergwerks Ewald Fortsetzung zu erfolgen habe.
Als Hauptgründe für diese Entscheidung gelten:
– Unübersichtliche Bergschadensentwicklung in den Außenbereichen der Stadt Recklinghausen und
– absehbare Erschöpfung der wirtschaftlich bauwürdigen Vorräte im Feld Ewald Fortsetzung.
Dazu heißt es, die Belegung der Vortriebe ab Januar 1971 sei erforderlich, damit die Bergwerke General
Blumenthal und Ewald Fortsetzung auch nach 1975 weiterhin 14.000 t Kohlen täglich zu Tage bringen könnten.
Das bedeutet letztlich den Förderverbund beider Anlagen mit der Folge, daß die auf Ewald Fortsetzung
geförderte Kohle nach dem Verbund an einer noch zu schaffenden Ladestelle am Ende der 4. Richtstrecke auf
der 7. Sohle des Bergwerks General Blumenthal in Förderwagen geladen und mit der automatischen
Lokomotivförderung zum Schacht General Blumenthal 11 in Wanne-Eickel zur Aufbereitung gebracht wird. Die
Verbindung der beiden Bergwerke soll über einen wegen der unterschiedlichen Sohlenhöhen von General
Blumenthal aus abfallend aufzufahrenden Gesteinsberg erfolgen.
Bereits Anfang des Jahres beginnt man auf der 7. Sohle mit der Weiterauffahrung der 4. Richtstrecke nach
Osten bis zur Achse des Gesteinsberges nach Ewald Fortsetzung.
Die Firma Grüttner und Brandt stellt auch schon 180 m des Berges fertig. Die Auffahrarbeiten übernimmt später
nach Ausscheiden der vorgenannten Firma das Unternehmen Frölich und Klüpfel. Die ansteigende Auffahrung
zum Bunker nimmt man gleichzeitig in Angriff. Ursprünglich war auch das Bergwerk Emscher Lippe in Datteln
mit in den Auftrag zur Aufklärung des Feldes "An der Haard" eingebunden. Die von dort getriebene
Untersuchungsstrecke aber endete in einer größeren Störungszone, die eine Bauwürdigkeit des
Lagerstättenbereiches sichtlich ausschloß. Dieses Ergebnis führt dann auch letztlich zur Stillegung des
Bergwerks im Folgejahr.
In den Gewinnungsbetrieben des Bergwerks General Blumenthal entspannt sich die Lage etwas. Bei erhöhter
Untertageleistung steigt die Leistung im Streb um rd. 1 tvF/MS.
Es kommen nun etwa 50% der Förderung aus Streben mit Schreitausbau, 16% aus Rammstreben der steilen
Lagerung und 34% aus Gewinnungsbetrieben der flachen Lagerung mit Einzelstempelausbau.
Erstmals seit 1968 gibt es mit 122.400 t wieder einen Haldenbestand auf General Blumenthal, der allerdings
nur zum geringen Teil aus eigener Förderung kommt. Andere Anlagen halden hier auf, weil General Blumenthal
Gelände zur Verfügung stellt.
Die Weiterentwicklung des Reißhakenhobels führt zum S-Hobel. Dieser ist schmaler als sein Vorgänger, hat
bessere Lade- und Steuereigenschaften und kann durch seine verstellbaren Bodenmeißel leicht
unterschiedlichen Bedingungen des Liegenden angepaßt werden, so in Flöz Zollverein 5.
Im Schacht 2 hat man von der 7. Sohle über die
Rasenhängebank bis zur Absaugeanlage eine neue
Gassammelleitung von 400 mm Durchmesser
eingebaut.
Im 9. Querschlag nach Norden laufen die
Aufschlußarbeiten für die oberhalb der 7. Sohle
anstehenden Bauhöhen des Flözes Karl 1 auf vollen
Touren. Im Niveau der 7. Sohle werden der Ladeumtrieb
und der Materialbahnhof aufgefahren. Nach Fertigstellung
des Gesteinsberges und der Maschinenkammer schafft
man mit einem Querhieb die Verbindung zum Flözberg im
Niveau Flöz Karl 1, der auch nach Norden weitergefahren
wird.
Von der 9. Sohle aus treibt man im 5. Querschlag den Hauptförderberg zur 7. Sohle. In der gleichen
Querschlagsachse wird von der 7. Sohle aus ein Berg in Flöz Karl 2 zur 9. Sohle gefahren.
Am 02. August besucht Dr. Rainer Barzel mit einer Gruppe von Bonner Politikern das Bergwerk.
Beim Entwicklungsvorhaben "Gewinnungsbohrversuche in steil gelagerten Kohlenflözen" verzeichnet man bei
einer Serie von Einzelbohrungen eine verbesserte Richtungsstabilität durch Weiterentwicklung der
Führungselemente. Ein in eigener Regie entwickelter Bohrlochverschluß senkt den Feinstaubanfall um fast 98
%. Erste Versuche mit einem "Drilling" - bestehend aus 3 Turmag- Bohrmaschinen des Typs P VI/12-120 -
bringen Bohrlochlängen von mehr als 100 m. Nach einer Vorbesprechung im Sommer erhalten im November
die Sprockhöveler Firmen Hausherr u.Söhne und Turmag den Auftrag zur Entwicklung, Konstruktion und zum
Bau des Prototyps der neuen Gewinnungsbohrmaschine. Dabei fällt der Bau der Maschine selbst an die Firma
Hausherr u.Söhne, während die Firma Turmag zugehöriges Gestänge, Führungen und Bohrkronen entwickeln
und fertigen soll.
Die Vergabe des ansehnlichen Auftrags an die beiden Sprockhöveler Firmen verursachte ein vernehmliches
Rauschen im Blätterwald der Presse in und um Sprockhövel. Hat es doch tatsächlich ein Recklinghäuser
Bergwerk geschafft, die beiden renommierten Sprockhöveler Produzenten, die sich über viele Jahre hinweg
kaum auf der Straße gegrüßt haben, erstmals wieder an einen Tisch (in der Rotisserie Sprockhövel) zu bringen.
Die Presse ist begeistert. Die Firmen sind zufrieden.
Obwohl die Entkupplungen bei den Förderwagen in der Lokomotivförderung stark zurückgegangen sind,
arbeitet man weiter an der Verbesserung der Kuppelelemente. In der Verbindungsstrecke und auf der
Prüfstrecke über Tage werden mehr als 1.700 Versuche gefahren.
Die Einschienenhängebahnen erfahren eine Weiterentwicklung. Es werden nun 4 Bahnen im sog.
Doppelsystem betrieben. Dabei laufen zwei Bahnen auf dem gleichen Schienenstrang. Eine deutliche
Steigerung der Transportleistung ist die Folge.
Die Materialumschlagstelle für die Streben des Flözes Zollverein 5 erhält eine Verholanlage. Damit entfallen
Rangierarbeiten mit der Lok.
Die Planung der Materialversorgung für die Betriebe des Abbaus sowie der Aus- und Vorrichtung im Bereich
Flöz Karl 1 an Schacht 8 ist abgeschlossen. Nach Prüfung der auf dem Markt befindlichen Systeme fällt die
Wahl auf eine Flurförderbahn Beco 400 der Firma Becorit in Recklinghausen. Mit dem Einbau der Anlage im
Förderberg wird Ende des Jahres begonnen.
Die Aufgaben des Arbeitsschutzes unter und über Tage wurden bisher von der Sicherheitsabteilung
wahrgenommen. Wegen der zunehmenden Wichtung dieses Bereichs und der wachsenden Auflagen seitens
der Behörden wird zu Jahresanfang eine Abteilung "Arbeitsschutz" gegründet, die dieses Feld abdecken soll.
Erster Leiter der neuen Abteilung ist Fahrsteiger Dieter Schöning.
Die Untertageplanung befaßt sich im Berichtsjahr im Schwerpunkt
– mit der Detailplanung für die Grubenbaue, besonders der Großräume sowie für die förder- und
transporttechnischen Anlagen im Raum Schacht 8 und für den Hauptförderberg 9. bis 7. Sohle
im 5. Querschlag,
– mit der Abwetterlösung aus dem Baufeld C II/III,
– mit dem Zuschnitt der Bauhöhen in den Flözen Dickebank, Wasserfall und Sonnenschein im Feld B I
zwischen dem 3. und 5. Querschlag unterhalb der 7. Sohle sowie
– mit dem Zuschnitt der Bauhöhen in den Flözen Röttgersbank und Wilhelmim Feld B I unterhalb der
7. Sohle in der Achse des 3. Querschlages.
Die zunehmende Verlagerung des Abbaus in das Baufeld C II/III läßt einen regelmäßigen Personenzugverkehr
auf der 7. Sohle zwischen Schacht 3 und Schacht 8 erforderlich werden. Erste Planungen laufen an.
Es ist beabsichtigt, die automatische Lokomotivförderung in einem Teilabschnitt vom Übergabebahnhof bis
zum 5. Querschlag nach Norden weiterzuführen. In diesem Zusammenhang soll auch die Ladestelle im 3.
Querschlag mit einer Rangierautomatik ausgerüstet werden.
Im Tagesbetrieb beginnt man auf der Anlage 1/2/6 mit dem Abbruch des alten Heizkraftwerkes.
Am 31. Oktober ist die Erweiterung der Absaugeanlage für Grubengas abgeschlossen. Das Heizkraftwerk
Recklinghausen erhält nun über eine selbsttätige Regelanlage Grubengas mit konstantem Heizwert.
An Schacht 11 wird der Abbruch der Kokerei Shamrock 3/4 abgeschlossen.
Beim Betrieblichen Vorschlagswesen kann mit 12.280,- DM erstmals ein 5-stelliger Betrag an Prämien
ausgeschüttet werden. Die Berufsausbildung auf General Blumenthal hält weiterhin eine Spitzenstellung in der
Ergänzung des Nachwuchses. Mit 11,7% zur bergmännischen Belegschaft unter Tage (312 Jugendliche) liegt
das Bergwerk weit über dem Durchschnitt der Gruppe. Die bereits in den Vorjahren durchgeführten Lehrgänge
laufen weiter.
Wohnungsbedarf für Belegschaftsangehörige besteht noch immer. Besonders Eigenheime sind gefragt. Am
Jahresende zählt man hier 60 Bewerber, die zumeist schon kräftig angespart haben.
In der Marie-Juchacz-Straße werden die von der Arbeiterwohlfahrt erbauten Altenwohnungen bezogen, für die
aus Bergbaumitteln ein Zuschuß geleistet wurde. Von den vom Bergwerk General Blumenthal zu versorgenden
Senioren ziehen 13 Rentnerehepaare und Witwen ein.
Am 31. Dezember geht der Leiter der Bauabteilung General Blumenthal, Josef Niggemeier, in den Ruhestand.
Er hat dieses Amt am 01. Januar 1953 vom damaligen Zechenbaumeister Echterbruck übernommen. In seiner
19 -jährigen Tätigkeit in dieser Position wurden die wesentlichen eigenständigen Neubauvorhaben des
Bergwerks auf dem Betriebs- und vor allem auf dem Wohnungsbausektor, durchgeführt. Seit der Gründung der
Ruhrkohle AG besteht die Aufgabe der Bauabteilung nicht zuletzt aus Gründen der Konjunktur im wesentlichen
in der Erhaltung der vorhandenen Bausubstanz. Auch die Wohnungsverwaltung untersteht seitdem nicht mehr
der Bauabteilung des Bergwerks.
Josef Niggemeier übergibt seinen langjährigen Tätigkeitsbereich an seinen bisherigen Stellvertreter Josef
König.
Recklinghausen registriert in diesem Jahr 128.900 Einwohner.