Bergmannsverein General Blumenthal
Chronik 1958
Das Jahr 1958 bringt die Wende auf dem Energiemarkt. Die bis dahin bestehende Mangellage schlägt in eine
Überflußlage um. Die Weichen dazu sind bereits um die Mitte des Jahrzehnts gestellt worden. Seit 2 Jahren
fallen nun zusätzlich die internationalen Seefrachtraten erheblich. Dadurch wird die Einfuhr von Importkohle - vor
allem aus den USA - für die deutsche Industrie noch attraktiver. Der Preisvorsprung der amerikanischen
Kokskohle beträgt bereits mehr als 8 DM/tvF - Tendenz steigend. Vor allem aber drängt jetzt das Erdöl auf den
Markt. Seit Mitte der 50er Jahre fallen hier wegen des Überangebots die Preise, besonders dramatisch in der
Zeit zwischen 1957 bis 1960. Das insbesondere von der Industrie benötigte schwere Heizöl hat vor Beginn der
Kohlenkrise noch 142 DM/t gekostet und wird nun für 60 DM/t angeboten. Leichtes Heizöl für die privaten
Haushalte sinkt im gleichen Zeitraum trotz einer Sonderbesteuerung von 10 DM/t von 242 DM/t auf 125 DM/t.
Im Gegensatz zu den USA, Frankreich und Großbritannien öffnet die Bundesregierung dem Öl aus den
Golfstaaten durch die Beseitigung fast aller Heiz- und Mineralölzölle den deutschen Energiemarkt.
Die Ruhrkohlepreise dagegen steigen jährlich um 7 - 8%.
Der Kohlenabsatz geht spürbar zurück. Die deutsche Steinkohle, die 1957 noch 60% des
Primärenergieverbrauchs der Bundesrepublik deckte, verliert ihre marktbeherrschende Position.
Die Eisen- und Stahlindustrie indessen meldet Hochkonjunktur. Das Essener Unternehmen Fried. Krupp und
die Hamborner Thyssenhütte - in steigenden Maße versorgt mit billiger Importkohle - erzielen Rekordumsätze.
Die Gegenmaßnahmen sind dürftig. Es werden nur wenige bestehende Kohleimportverträge mit Ländern
außerhalb der Montanunion abgelöst. Der Bundesminister für Wirtschaft führt eine Import-Lizenzsperre ein und
billigt ein Kohle-Öl-Kartell, wonach schweres Heizöl im Bundesgebiet bis Ende 1960 nicht unter Weltmarktpreis
verkauft werden soll.
Der Bergbau ist bei Ausbruch der in diesem Fall strukturell bedingten Krise auf die veränderte Lage am
Energiemarkt weder materiell noch in seiner Konzeption vorbereitet.
Am 22. Februar verfahren 16.000 Bergleute auf den Zechen Katharina und Theodor Heinrich in Essen,
Dahlhauser Tiefbau in Bochum sowie Rosenblumendelle/Wiesche in Mühlheim und Alter Hellweg in Unna die
erste Feierschicht. Bis Mai 1958 müssen elf Feierschichten eingelegt werden. Bereits im Juli liegen 8,6 Mio t
Kohle und Koks auf Halde. Am Jahresende sind es 12,3 Mio t, d.h. 9,3% der Jahresförderung. Im Ruhrbergbau
setzen die ersten Entlassungen ein.
Der Vorstandsvorsitzende der Hibernia, Dr. Hans Werner von Dewall, schließt bei einer Besprechung mit
Vertretern von Regierung und Gewerkschaft im Blick auf die sich abzeichnende Entwicklung
Zechenstillegungen nicht aus und die sollten nur allzubald folgen.
Der Bergbau verstärkt seine Maßnahmen zur Rationalisierung und Kostensenkung. Die Stillegung unrentabel
arbeitender Zechen wie die der Anlage Lieselotte in Bochum-Querenburg am 30. September wird in ihren
sozialen und regionalpolitischen Auswirkungen durch wirtschaftspolitische Maßnahmen abgefangen.
Erstmalig zeichnet sich die Notwendigkeit ab, die Förderung auf den zu erwartenden Absatz abzustimmen. Der
Vorstandsvorsitzende der Hibernia teilt die Absicht mit, die Jahresförderung der Gesellschaft ab 1959 um
300.000 tvF zu senken. Die Ruhrkohlen-Verkaufsgesellschaften räumen einen 10-prozentigen Sonderrabatt für
Mehrmengenbezug ein.
Die Kohleproduktion im westdeutschen Steinkohlenbergbau geht mit 132,6 Mio t nur um 600.000 t gegenüber
dem Vorjahr zurück.
Hibernia hält die Förderung mit 10,8 Mio t gleich. Die Haldenbestände der Gesellschaft liegen zu Jahresende
bei 345.000 t Kohle und 579.000 t Koks. Das sind 29 Tagesförderungen.
Das Bergwerk General Blumenthal steigert im Berichtsjahr die verwertbare Förderung um 69.975 tvF. Der
Bergeanteil in der Rohförderung von 2.041.479 t beträgt 22,24%.
Der Anteil der Gaskohle am Fördervolumen steigt auf 16,38% und kommt fast ausnahmslos aus den 2 Streben
in Flöz Zollverein 1, wo im Durchschnitt täglich 924 t auf dem Förderzettel stehen. Das bis zu 3 m mächtige Flöz
wird zweitägig (Oberund Unterbank) im Abbauhammerbetrieb verhauen. Flöz B liefert bei sporadischem
Betrieb von Juni bis November 731 t. Der Abbau in Flöz Zollverein 3 bringt in den Monaten November und
Dezember ganze 541 t Kohle.
Von den 1.327.441 tvF geförderter Fettkohle kommt mehr als die Hälfte, nämlich 696.709 tvF, aus den Flözen
Karl 1 und Karl 2. Das letztgenannte Flöz wird ab August auch in der steilen Lagerung gebaut.
Ein Streb in Flöz Katharina nimmt im April die Förderung auf. Der erste durchlaufende Hobelstreb der Zeche in
Flöz Gretchen liefert im Berichtsjahr 140.606 tvF Kohle, im Tagesdurchschnitt 682 tvF (289 tvF/Tag mehr als im
Vorjahr).
Die restlichen Kohlen kommen aus den Flözen Hugo, Wasserfall sowie Ida, Wilhelm Dickebank und
Sonnenschein.
Im Rahmen des Substanzaustauschvertrages vom 14. Januar 1958 gestattet das Bergwerk General
Blumenthal der Gesellschaft König Ludwig den Abbau der Flöze K1, K2, M, N, O, P1, P2, R und T, ausgehend
von der -310 m bis zur -360 m-Sohle gegen den Abbau eines in das eigene Grubenfeld hineinragenden
Streifens des Grubenfeldes Ewald Fortsetzung "An der Haard". Ein weiterer Vertrag dieser Art wird am 20.
Februar 1958 abgeschlossen. Dieser umfaßt Vorräte der Flöze Röttgersbank und Katharina im Baufeld "An
der Haard".
Angesichts der guten Ergebnisse beim Hobeln der Kohle in Flöz Gretchen beschafft man für den Abbau in Flöz
Karl 1 n. Westen (Rev. 10) eine zweite Anbauhobelanlage von der Firma Gew. Eisenhütte Westfalia in Lünen.
Die 180.000,-DM teure Anlage geht Ende April in Betrieb.
Für die 4. Bauhöhe in Flöz Karl 1, 3. Abteilung oberhalb der 7. Sohle wird im Oktober die dritte
Westfalia-Anbauhobelanlage, diesmal mit Oberdammleitförderer bestellt und Ende Dezember in Betrieb
genommen. Neue Getriebe ermöglichen den Anschluß von 50 kWMotoren, so daß der Hobel notfalls mit nur
einem Motor gefahren werden kann.
Am 18. Dezember ist im Blindschacht 781 die erste Gefäßförderanlage (Skip) auf dem Bergwerk
betriebsbereit. Sie dient der Versorgung der Abbaubetriebe in den Flözen Zollverein 1 und B mit Blasbergen.
Die in diesen Streben abgebauten Kohlen gelangen über eine Wendel im Blindschacht zur -700 m-Sohle und
von da zum Förderschacht 6.
Im Berichtsjahr werden auf General Blumenthal 3.814 m an Aus-und Vorrichtungsstrecken aufgefahren. Die
Länge des gesamten Streckennetzes beträgt nun 40.427 m.
Es werden zwei Blindschächte abgeteuft, nämlich der Blindschacht 331 von der 3. Sohle im 3. Querschlag bis
Niveau Flöz Dickebank und der Blindschacht 561, 5.Sohle, 6.Querschlag mit den Aufschlüssen der
Zollverein-Flöze 1, 3 und 4. Die Abteufarbeiten werden im Berichtsjahr nicht abgeschlossen. Der Blindschacht
561 dient der Frischwetterversorgung der Zollverein-Streben und der Abwendelung der Gaskohlen zur
Ladestelle auf der 5. Sohle. Dort laufen erstmalig auf der Schachtanlage hydraulisch angetriebene Vorzieher
und Aufschieber.
Auf der 7. Sohle wird östlich des 5. Querschlages in der Zeit vom Februar bis September der Blindschacht 851
unter Verwendung eines Greifers bis zum Niveau des Flözes Hugo niedergebracht.
Im August beginnt man mit dem Abteufen des Blindschachtes 732 in der Schlägel-und Eisenmulde nördlich
Schacht 7 im 3. Querschlag von der 3. zur 7. Sohle auf Großbohrloch. Die vorausgegangene Herstellung des
Bohrloches mit einem Durchmesser von 813 mm erfolgt mit einer bemerkenswerten Präzision. Der
Durchschlag auf der 3. Sohle liegt im unmittelbaren Bereich des Mittelpunktes der Schachtscheibe.
Die Auffahrung der 6. Richtstrecke n. Osten auf der 3. Sohle im Bereich des Schachtes 7 läuft über das ganze
Jahr hinweg weiter.
Im Zuge des geplanten Abbaus im Ostfeld beginnt man im Juni des Jahres auf der 4. Sohle von Schacht 3 aus
mit der Ausrichtung der Abwettersohle. Der 7. Querschlag nach Norden (ab Station 215 m) wie auch die 1 Jahr
später in Angriff genommene anschließende 4. Richtstrecke n. Osten erhalten erstmalig auf General Blumenthal
einen großen lichten Querschnitt von 20 m2 bei einem Ausbau in 3-teiligen Stahlbögen. Der Vortrieb ist mit
einer verfahrbaren Arbeitsbühne ausgerüstet. So können beim Bohren 7 Bohrhämmer (Typ Atlas Copco BBD
41) eingesetzt werden. Bei der Sprengarbeit werden vorgefertigte eingeschlauchte Ladungen verwendet.
Die Ladearbeit bewältigen 2 Wurfschaufellader, einer davon -ein Eimco 40- mit einem Speicherband. Die
Vor-Ort-Belegschaft besteht aus 3 Dritteln zu je 9 Mann.
Im Dezember wird die Auffahrung des 5. Querschlages n. Norden auf der 7. Sohle (Firma Wisoka)
abgeschlossen.
Im Hinblick auf die zu erwartende Fördersteigerung aus
dem Raum Schacht 7 und die damit verbundene
Erhöhung der Anzahl der dort anfahrenden Bergleute
wird eine Erweiterung der vorhandenen
Waschkauenkapazität an Schacht 7 über Tage
geplant.
In der Aufbereitung an Schacht 6 erfolgt eine
Mechanisierung der Stückkohlenaufbereitung in der
Sieberei. Die Wäsche erhält einen Material- und
Personenaufzug. Zwei neue Schiebelesebänder
werden installiert.
Am 26. August zwingt ein Schaden am Unterseil der Fördereinrichtung im Hauptförderschacht 6 zu einer
ungewollten Feierschicht.
Die bereits angefahrenen Bergleute der Morgenschicht werden nach knapp 4-stündiger Arbeitszeit zu Tage
geholt. Mittag-und Nachtschicht fallen aus. Am Morgen des 27. August läuft der Betrieb wieder an.
Die Zahl der ausgebildeten Selbstschutzhelfer wird im Berichtsjahr verdoppelt und beträgt nun 30 Mann.
Am 03. Juli gedenkt man der 12 Belegschaftsmitglieder, die bei einer schweren Kohlenstaubexplosion über
Tage in der Verladung vor 25 Jahren ums Leben kamen.
Am 30. Juli verunglückt Wolfgang Rumberg, der 21-jährige Sohn des Tagesbetriebsführers Friedrich Rumberg,
im Traforaum Schacht 5 durch einen Starkstromschlag tödlich.
Im Alter von 53 Jahren verstirbt am 20. Juli an den Folgen einer Herzkrankheit der Obersteiger der Aus-und
Vorrichtung, Friedrich Möller.
Nach Fertigstellung des Hauses 7 (Milchpfad
61/65) bittet man das Christliche Jugenddorfwerk
Deutschlands, die familiengebundenen Unterkünfte
nach dem Pestalozzisystem mit zu übernehmen.
Nach Übernahme der ersten 56 Berglehrlinge in
das Pestalozzi-Heim werden auch die
Lehrlingsheime Wildermannstraße 53 und 55 an
das Jugenddorfwerk angeschlossen. Der erste
Jugenddorfleiter, Herr Dechnow, führt die
Geschäfte vom Sommer 1958 für ein Jahr. Nach
einer provisorischen Leitung durch Herrn Hein
zeichnet ab 1960 Herr Rudolf Kraft verantwortlich
für das Jugenddorf des Bergwerks General
Blumenthal.
Ab 01. Februar leitet Dr.-Ing. Ulrich Klinge vorübergehend die Sicherheitsabteilung bis zum 30. Juni. Dann wird
Fahrsteiger Alfred Schwaak Sicherheitsbeauftragter.
Dipl.-Ing. Manfred Bernauer wird am 01. September nach seiner Ausbildung im "Fortbildungsdienst für
Diplomingenieure der Fachrichtung Bergbau" als Fahrsteiger eingestellt und mit dem Aufbau der Abteilung
Mechanisierung innerhalb der Stabsstelle betraut. Die Aufgaben in diesem Bereich hat vorher Dipl.-Ing. Bernd
Beyer wahrgenommen, der zum Bergwerk Thyssen 2/5 in Hamborn wechselt.
Maschinen-Fahrsteiger Walter Pothmann erhält am 01. Oktober seine Beförderung zum
Maschinen-Obersteiger.
Die Bergwerksgesellschaft Ewald Kohle AG Recklinghausen bezieht ein neues Verwaltungsgebäude an der
Lessingstraße.